Weitwinkelkonverter -
Der richtige Blickwinkel für Camcorder

Juli 2003     

Jeden Monat präsentiert uns die Home-Cinema-Foto-Video-Industrie neue digitale Foto- und Videokameras. Digitalfotoapparate trumpfen mit immer höheren Pixelzahlen ihrer Aufnahmechips auf; Videos aufnehmen können sie sowieso. Digitalvideoapparate steigern den elektronischen Zoombereich ihrer Objektive ins schier Endlose; Fotos schießen und E-Mails versenden können sie sowieso.
Bleiben wir bei den optischen Gegebenheiten. Heutige Camcorder-Objektive haben einen optischen Zoombereich von meist 10-fach bis etwa 20-fach. Optisch heißt, daß allein die rein mechanische Verschiebung / Drehung per Motor von Linsen im Objektiv für die Verlängerungsfaktoren zuständig ist. Für den erweiterten elektronischen Zoomfaktor bis zum mehrhundertfachen gibt es keine zusätzlichen Bildinformationen. In diesen extremen "Telebereichen" wird das Bild lediglich elektronisch vergrößert, mit zunehmenden Vergrößerungsfaktor pixeliger und in mehr oder weniger große Mosaikstückchen zerlegt.


Camcorder - Zoomeinstellung max. Weitwinkel
- ohne Vorsatzlinse -

Camcorder - Zoomeinstellung max. Weitwinkel
- mit Weitwinkel-Konverter 0,5 fach -

Der Zoomfaktor allein sagt nichts darüber aus, wie viele Berge einer Gebirgslandschaft vom gleichen Standort aus gleichzeitig gefilmt werden können oder ob ohne Schwenk die Theaterbühne vom Souffleurkasten aus in der Gesamtansicht aufgenommen werden kann. Als weitere Größe muß die Chipfläche des Bildwandlers und die Anzahl der Bildpunkte bekannt sein. Denn völlig egal, wie gigantisch die Anzahl der Pixel auch sein mag, für ein PAL-Fernsehbild im Seitenverhältnis 4:3 werden immer nur 440.000 Pixel benötigt.
Sinnvollerweise werden die Variobereiche von Camcorderobjektiven auf das Kleinbild-Fotoformat umgerechnet (siehe Kasten). Ein Varioobjektiv von 3,3 mm bis 33 mm Brennweite (10-fach Zoom) vor einem 1/4 Zoll Wandlerchip mit 800.000 Pixel entspricht im klassischen Foto-Zoombereich Brennweiten von 42 mm bis 420 mm. Dasselbe Varioobjektiv (Brennweite 3,3 mm bis 33 mm: 10-fach) vor einem der verbreiteten 1/4,7 Zoll Wandlerchips mit 1.070.000 Pixel hat im Fotobereich eine Brennweite von 50 mm bis 500 mm.
Bei digitalen Bildwandlerchips ist für die Berechnung der Bilddiagonalen nicht nur die geometrische Chipfläche, sondern auch die Pixelanzahl notwendig. Vor der Einführung von CCD-Chips wurde mit lichtempfindlichen Bildaufnahmeröhren gearbeitet. Bei diesen wurde als Maßangabe der Aussendurchmesser angegeben. Tatsächlich nutzbar war aber nur ein kleinerer Bereich. Für die digitalen Bildwandler wurden diese Werte und die Bezeichnungen für die aktiven Wandlerflächen übernommen. Ein 1/4 Zoll-Wandlerchip hat mit 800.000 Pixel eine verbleibende Bilddiagonale von 3 mm, mit 1.550.000 Pixeln nur noch eine Bilddiagonale von 2,2 mm.
Irgendwann ist es nicht mehr möglich, die Brennweite weiter zu verkürzen, um Zoomobjektive mit echtem Weitwinkelbereich zu bauen. 1,8 mm Brennweite sind nicht mehr machbar, da die letzte Glaslinse sicher dicker sein wird als die Brennweite selbst und die Linse auf der Chipfläche aufsitzen würde. Ein Objektiv besteht auch nicht nur aus einer Linse. Es wären letztlich Objektive erforderlich, deren optischer Mittelpunkt außerhalb der Linsengruppe läge. Trotz alledem sind Weitwinkelaufnahmen wünschenswerter als starke Telebrennweiten. Im Weitwinkelbereich ist es einfacher, auch freihändig verwacklungsfreie Aufnahmen zu erhalten.

Weitwinkelaufnahmen wirken sehr dynamisch und räumlich, während Teleaufnahmen eher flach wirken.
Da mit dem eingebauten Objektiv der Blickwinkel der Camcorder oft zu eng ist, ist die Lösung ein passender Konverter. Auf das Filtergewinde des Camcorderobjektivs wird ein Vorsatzobjektiv geschraubt mit einem Verkürzungsfaktor. Dadurch wird die Originalbrennweite verkürzt. Ein Konverter selbst hat keine Brennweite. Der Faktor, der immer kleiner 1 ist, bestimmt die Wirkung. So fangen wir mit einem WW-Vorsatz mit Faktor 0,5 (ergiebt halbe Camcorderobjektivbrennweite) doppelt soviel Kulisse ein, weil der Bildwinkel verdoppelt wird. Ganz wichtig in engen Räumen oder für Panoramaszenen. Brennweitenverkürzende Konverter erweitern nicht nur den Bildwinkel unter beengten Raumverhältnissen, sondern auch die Schärfentiefe und verschaffen dem Camcorder einen ruhigeren Bildstand, die elektronische Bildstabilisierung muß weniger arbeiten. Die Schärfentiefe ist um so weiter, je kürzer die Brennweite, je besser das Licht und je ausgedehnter die Aufnahmeentfernung ist. Nicht nur epische Landschaftsaufnahmen und beeindruckende Architekturaufnahmen lohnen sich mit einem Weitwinkelvorsatz, sondern auch die fröhliche Partygesellschaft paßt ganz ins Bild.

Durch die perspektivische Verzerrung wirken Kamerafahrten nahe an Objekten rasanter. Zieht die Kamera an den verkleinerten Details vorbei, suggeriert das höheres Tempo.
Bei Weitwinkelaufnahmen pumpt die automatische Schärferegulierung weniger. Profis schalten um auf manuelle Fokussierung und stellen den hyperfokalen Schärfepunkt ein. Er liegt in einer vom Motiv abhängigen Entfernung, bei der der maximale Tiefenschärfebereich vom nahen Vordergrund bis zum Hintergrund der Szene reicht. Dieser Bereich wird durch die manuelle Einstellung der Blende entweder verkleinert oder vergrößert.


HAMA-Weitwinkelkonverter HR0,5  
"Verlängerungs"faktor 0,5-fach
Nicht nur die Camcorderhersteller liefern Vorsatzobjektive, sondern auch "Fremdhersteller" liefern passende Konverter mit viellinsigen, aufwändigen Konstruktionen. Wir testeten Konverter des Video- und Fotozubehörspezialisten HAMA auf verschiedenen Camcorder. Notwendige Adapterringe werden gleich mitgeliefert. Denn ein großer Vorsatz paßt immer auch zu einem kleineren Objektivdurchmesser. Der auf Digitalcamcorder spezialisierte Weitwinkelkonverter HR 0,5x mit HTMC-Vergütung (Nummer 44331) kostet in der Silver Edition im Laden um die 99 Euro. Er hat ein Anschlußgewinde M52 und wird mit Adapterringen M43, M46, M49 geliefert. Der Filterdurchmesser beträgt M65.
Bei keiner Kombination konnten wir eine Abschattung in den Ecken feststellen. An den Bildrändern  kommt es auch nicht zu Verzeichnungen. Dabei kontrollierten wir mit Lupe über die Klapp-TFT-Displays der Camcorder und nicht über einen angeschlossenen Fernseher. Denn auch neue Röhren-TVs scheren sich wenig um korrekte Geometrie und krümmen gerade Linien an den Bildrändern.

HAMA-Telekonverter HR2 
Verlängerungsfaktor 2-fach

Im Telebereich testeten wir das Videoobjektiv HR2 von HAMA (Nummer 44382, 129 Euro Ladenpreis), Anschluß ebenfalls M52, mit Adapter für M46, M49 und M55. Die Brennweite des Camcorderobjektivs wird um den Faktor 2 verlängert. Das Filtergewinde hat einen M72-Anschluss.

HAMA gewährt auf beide Optiken 5 Jahre Garantie.
Weitere Informationen bei: www.hama.de

Michael Haßler

Brennweiten-Rechnerei:

Geht es um den Begriff Objektivbrennweite, ist ein Blick zu den klassischen Fotoobjektiven hilfreich. Am ehesten finden wir einen Zugang zu den geometrischen Daten im Kleinbild-Fotobereich.

Die Bezugsgröße dafür, wieviel Bildfläche einer Location (Höhe x Breite) in einer bestimmten Entfernung auf dem Fotofilm abgebildet werden kann, ist die Brennweite. Objektive, deren Brennweite in etwa der Bilddiagonale des Aufnahmeformats entsprechen, heißen Normal- oder Standardobjektiv. Beim Kleinbildformat mit 24 mm x 36 mm mißt die Bilddiagonale 43 mm. Hier hat ein Objektiv mit einer Brennweite von 43 mm einen Sichtwinkel von 45 Grad in horizontaler Richtung, der längeren Bildseite mit einer Breite von 36 mm. Das entspricht etwa unserem engeren Sehkreis von 45 Grad. Damit korreliert das menschliche Auge genau mit einem 43er Objektiv – beim Kleinbildformat. Aus bautechnischen und qualitativen Gründen konstruierte die Firma Leitz als Begründerin der Kleinbild-Fotografie in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts kein 43er Normalobjektiv sondern ein "Normalobjektiv" mit 52 mm Brennweite. Gebaut werden sie bei Leitz immer noch mit 52 mm Brennweite, trotzdem ist auf dem Objektiv-Frontring der Standardobjektive der Wert "50 mm" eingraviert. Ein 50er Normalobjektiv hat einen Sichtwinkel von 38 Grad in horizontaler Richtung (36 mm Filmformatbreite), was nicht optimal an unsere Sehgewohnheiten angepaßt ist. Bezogen auf die Bilddiagonale von 43 mm kommt ein Normalobjektiv mit einer Brennweite von 50 mm genau wieder auf einen Sichtwinkel von 45 Grad. Und dabei ist es geblieben. Bildwinkel der Objektive werden auf die Diagonalen der Aufnahmeformate bezogen.

Wer einmal mit einem "echten" 45 mm Kleinbild-Objektiv fotografiert hat, weiß den  kleinen Unterschied von 5 mm (7 mm) Brennweite zu schätzen. Irgendwie wirken Aufnahmen mit einem 45er Objektiv harmonischer. Die auf Optiken aller Art spezialisierte Firma Zeiss konstruierte als erste ein legendäres Tessar mit 45 mm Brennweite, das heute wieder gebaut wird, nachdem es viele Jahre aus dem Angebotskatalog verschwunden war.

Im Zeichen der digitalen Weiterverarbeitung von Fotofilmen scheinen solche Überlegungen fast kein Thema mehr zu sein. Aufgenommen mit einem 35 mm Weitwinkelobjektiv oder einem beliebigen Zoom-Objektiv, mit dem Filmscanner digitalisiert, in Photoshop ausgeschnitten und auf dem 7-Farb-Drucker in glossyqualität ausgedruckt, erhalten wir das gleiche gestaltete Bild; oder etwa doch nicht?