Von HiFi zu Surround -
30 Jahre Mehrkanaltonwiedergabe

April 2003     

Zu Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts war das Farb-Fernsehen dabei, deutsche Wohnstuben zu erobern. Private Fernseh- oder Rundfunksender waren noch kein Thema. Gehört wurde in Stereo, mit 2 Lautsprechern. Zwei kleine Kistchen aus dünnem Holz lagen verdeckt im Regal oder standen versteckt neben der Chaiselongue. In einem einzigen Gerät steckte die gesamte Technik samt Plattenspieler, oft immer noch als Musiktruhe bezeichnet. Der Name leitete sich ab von den älteren riesigen Röhren-Radios mit eingebauten Lautsprechern und Deckel oben, unter dem sich der Plattenspieler befand. Jetzt war die Elektronik in ein meist flaches Gehäuse eingebaut, auf der einen Seite der Radioempfangsteil mit riesigem Frequenzanzeigetableau und Verstärkerteil, auf der anderen Seite der Plattenspieler. Dazwischen dominierten lange Schiebesteller für Lautstärke, Höhen, Tiefen und Balance. Alles behütet von einer überdimensionalen schwenkbaren Plexiglashaube. Überwiegende Quelle für Stereowiedergabe im Consumerbereich war die Langspielplatte. Die Stereoschallplatte gab es seit 1958, die Ausstrahlung von Radiosendungen in Stereo begann 1961.
Erst 1962 wurde die Produktion von Mono-Schellackplatten ganz eingestellt. Der Fernsehton war ausschließlich in Mono.

Von der Revox B 77 Tonbandmaschine
träumten 1979 Viele. Das Band läuft mit einer Geschwindigkeit von bis zu 38 cm pro Sekunde am Tonkopf vorbei.
In der Filmindustrie wurden zur Unterstützung der opulenten Leinwandbilder frühzeitig Mehrkanal-Tonformate entwickelt. Mit dem Aufkommen der Kino-Breitbildformate 35 mm (CinemaScope) und 70 mm (Todd-AO) in den 50er Jahren waren 4 bis 6 Tonkanäle möglich. Mehrere Tonkanäle waren für die frontseitige Wiedergabe vorgesehen, ein Kanal für die Beschallung aus dem hinteren Teil des Kinos. Anfangs war der Rückkanal ein Effektkanal für gelegentliche dramaturgische Effekte und eine Spielwiese für die Toningenieure. Die Tonkanäle wurden auf einzelne Magnetspuren auf der Filmrolle aufgezeichnet, wodurch hohe Signal-Rauschabstände erreicht wurden. Irgendjemand fing an, über den Rückkanal IT wiederzugeben, um den Raumklang zu verstärken. Dieser erweiterte natürlich klingende Filmton wurde als Surround-Sound bekannt und der Effektkanal hieß ab jetzt Surroundkanal.
Quadrophonie im Wohnzimmer
Als sich die Heim-Stereowiedergabe mit Schallplatte und Radio anfang der Siebziger etabliert hatte, begannen die Gerätehersteller nach neuen Features zu suchen. Die Vierkanal-Technik erlebte ihre Geburtsstunde, die als Quadrophonie bezeichnet wurde. Zwei zusätzliche Lautsprecher sollten in den hinteren Ecken des Raumes aufgestellt werden, um zwei weitere Kanäle speziell codierter Programmquellen wiedergeben zu können. Diese Rückkanäle wurden über verschiedene Codieralgorithmen in die zwei bereits vorhandenen Stereokanäle gemultiplext. Nur wenige Quadrophonie-Aufnahmen sind auf Platte gepreßt worden, die heute zu hohen Preisen gehandelt werden. Leider fielen die nicht zu verleugnenden Qualitäten der Quadrophonie den vielen, untereinander inkompatiblen Codierungs- und Decodierungssystemen und dem völlig verfehlten Marketing zum Opfer. Niemals wurde aber Quadrophonie mit dem Surround-Sound des Kinos assoziiert. Zuhause war das einzige visuelle Medium der Fernseher, der sich durch einen besonders niederqualitativen Mono-Sound auszeichnete.
Gesellschaft für den Fernseher: Der Videorekorder
Die 70er Jahre waren die Revoluzzerjahre in der Medienentwicklung, die weitere Neuigkeiten parat hielten. 1972 erblickte die Mono-Video-Kassette das Licht der Bilderwelt im Consumerbereich. Der Videorekorder war ursprünglich als Aufzeichnungsgerät für Fersehsendungen gedacht, um zeitversetzt am TV-Geschehen teilhaben zu können. Dieselben Verkaufsargumente hören wir heute, 30 Jahre später, wieder, damit wir einen HD-Rekorder kaufen. Die experimentierfreudigen User funktionierten den Videorekorder zum Kopier- und Abspielgerät für Kinofilme um. Völlig neue Geschäftszweige blühten auf, die sich mit der Produktion und Vermarktung von bespielten Videokassetten beschäftigten. Und auch die Filmindustrie entdeckte den Markt für sich, nachdem sie zuerst befürchtete, um ihre Pfründe betrogen zu werden. Die Zweitverwertung erfolgreicher Filme sicherte den Gewinn. Auch B-Movies wurden auf diesem Wege erfolgreich vermarktet. Das heimische Fernsehgerät erhielt eine zusätzliche Funktion als Video-Monitor, der ähnlich wie eine HiFi-Anlage auf mehrere Programmquellen zurückgreifen konnte.
Dolby: Weg mit dem Rauschen
In der HiFi-Szene selbst wandelten sich die Ansprüche an das Hörerlebnis, was zu grundlegenden Änderungen bei den Elektronikkomponenten der heimischen Musikwiedergabeanlage führte.  Die gestiegene Qualitätsanforderung an die Tonwiedergabe war nur durch Einzelkomponenten zu erreichen. Als Tonquellen dienten ein Tuner als selbständiges Nur-Radio-Empfangsteil, ein Tonbandgerät oder ein Kassettendeck, sowie ein Plattenspieler. Alle Einzelkomponenten waren an einen Vollverstärker angeschlossen, bestückt mit Quellen- und Ausgangsumschalter sowie notwendigen Lautstärke- und sonstigen Reglern. Kassettenrekorder waren mit dem Rauschunterdrückungssystem Dolby B der Dolby Laboratories ausgestattet, die schon im Kinobereich die Führung übernommen hatten.
Selbst von Tonbandfreaks anerkannt.
Das Kassettendeck Nakamichi 1000 ZXL hatte einen eingebauten Meßcomputer für alle Bandsorten.

Denn dort folgte 1976 das optische Dolby Stereo Kinoformat mit 4 Tonkanälen. Es beruhte nicht mehr auf der Magnetstreifen-Aufzeichnung, sondern auf der Technik der optischen Tonspur, die schon seit den 30er Jahren zur Speicherung des Filmtons in Mono genutzt wurde. Damit die Filme auch künftig in Kinos vorgeführt werden konnten, die nur für die Mono-Wiedergabe ausgerüstet waren, mußte der neue Soundtrack exakt mit demselben Platz auf der Filmkopie auskommen, der zuvor für die Mono-Spur zur Verfügung gestanden hatte. Über Matrixtechniken, die bei der Quadrophonie erprobt wurden, konnten auf dieser optischen Stereospur insgesamt vier Kanäle für Links, Rechts, Center und Surround codiert werden. Das optische Dolby Stereo System erwies sich als so praxistauglich, daß heute zehntausende Kinos auf der ganzen Welt mit Dolby-Prozessoren ausgerüstet sind.

Am Scheideweg: Analog oder digital?
Die HiFi-Stereo-Welt war bereits in rasanter Fahrt und entwickelte sich in den 80er Jahren zur High-End-Welt. Die Analog-Technik strebte weiterer Vervollkommnung entgegen, die Digital-Technik drang an geneigte Ohren. 1982 war die Markteinführung der 2kanaligen Compact Disc und des 3kanaligen Dolby Surround. Die Entwicklung der CD geht ebenfalls bis auf die Mitte der innovativen Siebziger zurück. Die High-End-Bausteine verlangten eine weitere Spezialisierung. Der Voll-Verstärker wurde gesplittet in Vor- und Endverstärker. Die weitere Auftrennung waren zwei getrennte Endstufen für linken und rechten Kanal und vor den Phono-Eingang des Vorverstärkers eine Vor-Vorstufe. Der eigentliche Verstärker bestand aus bereits vier Einzelgeräten, der Vorverstärker hatte einen Lautstärkeregler und Programmquellenschalter. Klangregler waren verpönt, denn eine klangmäßige Anpassung an das Musikzimmer übernahmen separat angeschlossene Equalizer.
Schallplatten: Das Problem mit dem Loch
Der Vorgang des Abtastens analoger Schallplatten zeigt, wie aufwendig versucht wurde, die Musikwiedergabe zu optimieren. Der „Plattenspieler“ bestand aus mehreren Komponenten. Mindestens erforderlich waren ein Laufwerk, ein Tonarm und ein Tonabnehmersystem. Die großen Fragen waren, ob Naßabspielen oder nicht, ob Tangentialtonarm oder überlanger s-förmig gebogener Tonarm, ob zweipunkt- oder einpunktgelagerter Tonarm, ob Riemen-, String- oder Direktantrieb. Ein Tonarm ist auf dem Plattenlaufwerk um einen Fixpunkt drehbar gelagert. Das Tonabnehmersystem ist am vorderen Ende des Tonarmrohrs auf dem Headshell befestigt. Somit überstreicht die Abtastnadel einen Sektor einer Kreisbahn auf der Schallplatte, was zur Folge hat, daß die Plattenrille nur in zwei Punkten idealerweise tangential von der Tonabnehmerspitze berührt wird. An allen anderen Punkten ergiebt sich ein Spurfehlwinkel von einigen Winkelgrad. Ein paar legendäre Tonarme versuchten, diesen geometrischen Fehler zu umgehen, indem sie auf einer Schiene quasi permanent tangential geführt wurden.
Bei sich drehendem Plattenteller bewegt sich der vom Tonabnehmer in der Plattenrille geführte Tonarm ein ganz kleines bißchen von rechts nach links und zurück; er wackelt ständig hin und her. Diese Wackelbewegung führt zu einem neuen Spurfehler. Ist das Loch der Schallplatte nicht exakt in die Mitte der Platte gestanzt, läuft die Plattenrille nicht kreis-spiralförmig sondern die Rillenspirale beschreibt eine elliptische Bahn. Dafür genügt eine Verschiebung des Mittellochs um einige Zehntelmillimeter. Der japanische Hersteller Nakamichi konstruierte ein Laufwerk, dessen Plattenteller auf einem Subteller in x- und y-Richtung verschoben werden konnte. Die Abweichung vom Kreis wurde mit einem speziellen Abtastarm in der Auslaufrille gemessen. Die Korrekturverschiebung stellten zwei Motoren solange ein, bis die Auslaufrille genau kreisförmig um den Plattentellermittelpunkt lief. Die Fragen zur Schliff-Form des Abtastdiamanten, zum Material des Röhrchens, auf dem die Abtastspitze befestigt ist oder zum Gesamtaufbau des Tonabnehmersystems wurden noch gar nicht erörtert.
Was war in den 80er Jahren wichtiger?
Zum Preis eines Opel Commodore oder eines
BMW 320 bekam der High-End-Freak ein Nakamichi Plattenlaufwerk TX-1000 mit Tangentialtonarm Goldmund T3.
Flächenstrahler
Dergleiche Aufwand wurde am Ende der Wiedergabekette unternommen, bei den Schallwandlern. Die setzen die elektrischen Signale wieder in Luftdruckschwankungen um, die unsere Ohren als Klänge detektieren. Eine Lautsprecherbox muß verschiedene Tonhöhen abstrahlen können. Die tiefsten Orgeltöne bei Saint-Saëns 3. Sinfonie, der Kanonendonner von Tschaikowskys Ouvertüre 1812 oder die Herzschläge von Pink Floyds Dark Side of the Moon wollen durch den Hörraum tosen, donnern und pochen. Maria Callas kraftvolle Stimme will über die Bandbreite ihrer vollen drei Oktaven die Lautsprechermembranen zum Schwingen anregen. Die Harfe in Boïeldieus Konzert will den Frequenzgipfel erklimmen und die Violine in Sibelius‘ Violinkonzert durchdringt die Hörschwelle nach oben in die unendlichen Höhen.

Bereits 1981 entführte der britische Dipolstrahler
 QUAD ESL 63 in bisher unerreichte Klangräume. 
Er war für den Gegenwert eines VW Polo zu haben.
Einige Lautsprecherhersteller entwickelten Flächenstrahler als Schallwandler. Zwei physikalische Lösungen standen zur Auswahl, die beide realisiert wurden. Bei den Elektrostaten schwingt die schallabstrahlende Folie in einem elektrostatischen Feld, das mit Hochspannung erzeugt wird. Sie strahlen den Schall genauso gut nach vorn wie nach hinten ab und werden als Dipolstrahler bezeichnet. Auch Magnetostaten, die ein magnetisches Feld verwenden, gehören zu den Dipolwandlern.  Eine Kunsstofffolie wird zwischen zwei starken Permanentmagneten eingespannt und auf diese Membran ein Metallstreifen mäandermässig aufgedampft. Fliesst nun ein Strom durch den Metallstreifen, wird die Membran im Rhythmus der veränderten magnetischen Kräfte bewegt und Schall erzeugt. Dipolstrahler zeichnen sich durch ein äusserst schnelles Ein- und Ausschwingen sowie ein filigranes, hochauflösendes Klangbild aus.
Knisterfrei: Die CD
Die gemeinsam von Philips und Sony entwickelte Compact Disc veränderte die Hörgewohnheiten. HiFi-Fans jubelten, weil kein Plattenrauschen oder –knistern mehr zu hören war. High-End-Freaks, auf deren Anlagen die Schallplatten nie knisterten, bemängelten die unausrottbare Härte der CD. Die Musik wird 44.100 Mal in der Sekunde gesampelt, wobei jeder ermittelte Punkt einen Wert von 65.536 Spannungsstufen annehmen kann (Samplingrate 44,1 kHz, Auflösung 16 Bit). Aus schaltungstechnischen Gründen liegt die höchste Frequenz einer CD-Aufnahme bei 20.000 Hz.

Wo bleibt hier die Wiedergabe der oberen Teiltöne eines Klanges? Abhilfe bringt die Technologie der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Super-Audio-Compact-Disc (SACD) und die Digital-Versatile-Disc-Audio (DVD-A) streiten um das Erbe des in die Jahre gekommenen Silberlings CD. Die SACD ist eine Weiterentwicklung der CD-Erfinder. Anstelle von 16-Bit-PCM wird Direct-Stream-Digital verwendet. DSD bezeichnet eine Codierung, bei der das Audiosignal mit nur 1-Bit-Auflösung, dafür aber mit einer Taktfrequenz von 2.822.400 Hz verarbeitet wird. Die Kapazität einer SACD beträgt 4.700 MB, die CD hat nur 780 MB. Damit die SACD auch in herkömmlichen CD-Player abgespielt werden kann, werden die Daten in zwei übereinanderliegenden, voneinander unabhängigen Aufzeichnungsschichten gespeichert. In der einen Schicht liegen die konventionellen Daten, die mit einem CD-Laser ausgespielt werden können. Der digitale Code auf der neuen halbdurchlässigen Aufzeichnungsschicht mit höherer Aufzeichnungsdichte wird mit dem Direct-Stream-Transfer-Coding-Verfahren ohne Datenreduktion komprimiert. Das Ergebnis sind eine verbesserte Stereo-Wiedergabe und eine 6-Kanal-Wiedergabe. Der Dynamikbereich der SACD steigt auf 120 dB (CD 96 dB) und die obere Grenzfrequenz liegt bei 100.000 Hz.

Weil die SACD fünf gleichwertige Übertragungskanäle plus Subwoofer liefert, ermöglichen nur fünf identische Lautsprecherboxen für die Front-, Center- und Rear-Kanäle eine optimale Klangbalance.

Hören und Sehen: Die DVD

Aktueller Surround-Receiver Marantz SR-5300
für 750 Euro. Ganz rechts die S-VHS-Buchsen zur Weiterschaltung der Bildsignale.
Die gleiche Aussage trifft bei der DVD-Audio zu. Für die DVD-Video ist Dolby Digital weltweit der Pflicht-Standard. Jeder DVD-Spieler muß in der Lage sein, Dolby Digital wiederzugeben. Ob und wann sich der Nur-Musikhörer mit den Varianten der Mehrkanaltonwiedergabe anfreunden wird, bleibt dahingestellt. Dagegen spricht der Aufwand an die Konfiguration der Gesamtanlage. Im reinen Audiobereich wird immer noch ein erheblicher Aufwand betrieben, um aufeinander passende Einzelkomponenten zu kombinieren. Dabei spielt die Aufstellung der Lautsprecher eine Rolle, die Innenarchitektur des Hörraums und die Verkabelung der Anlage, von der speziellen Steckdosenleiste bis zu den High-Tech-Lautsprecherkabel-Stecker.
Für das ultimative Heimkinoerlebnis ist die Video-DVD der Hit.
Ganz Mutige begnügen sich mit dem DVD-Player im PC mit Surround-Soundkarte. Das Bild flimmert über einen Fernsehschirm mit kleiner 70er Röhre. Fünf Mini-Billig-Lautsprecherchen und ein Subwoofer genanntes Kistchen bringen einen Klangsumpf von allen Seiten, zu dem jeder Kommentar überflüssig ist. Ein akzeptabler Surround-Receiver nach einem THX-Standard ist für einige 100 Euro zu haben. Der Receiver verarbeitet analoge und digitale Signale, verbindet Satellitenschüssel mit Fernseher, Fernseher mit HD-Rekorder und schaltet alle Programmquellen in per Menu gewählten Surround-Variationen auf die Lautsprecherboxen. Für Technikbegeisterte sind die Dutzenden Ein- und Ausgangsbuchsen auf der Geräterückseite ein Labsal. Der bisher unbedarfte User wird gebeten, in jedem Fall die Bedienungsanleitung zu Rate zu ziehen.
Michael Haßler